Schwere Kost in den Medien. Ein Versuch einmal umzudenken.
Veröffentlicht in
Seit Dezember habe ich die Causa „Seisenbacher“ intensiv verfolgt. Und ich muss gestehen, dass ich seitdem in regelmäßigen Abständen mich über die Ermittlungserfolge informiert habe.
In vielen Gesprächen wurde dann gesagt: „Untertauchen, das schafft einer, der sein Leben lang drauf eingestellt wurde! Peter Seisenbacher ist das nicht“. Hoffentlich, dachte ich mir. Nun wurde der internationale Haftbefehl in Kiev vollstreckt und es tun sich einige Fragen auf. Sie betreffen nicht den Gerichtsprozess. Hier wird ein unabhängiger Richter ein Urteil fällen und ordentliches Recht sprechen. Formhalber sei erwähnt, dass für den Verhafteten die Unschuldsvermutung gilt, eben solange, bis ein Richter urteilt.
Ich meine vielmehr die Fragen, wie wir als Judoka, Sportler und Gesellschaft unsere Kinder vor sexuellem Missbrauch besser schützen können. Ich bediene mich hierzu an einem Artikel von Tamara Arthofer der Wienerzeitung, kommentiere einige Absätze und versuche Lösungsvorschläge abzuleiten.
„Es ist der prominenteste Verdachtsfall des Kindesmissbrauchs im österreichischen Sport der jüngeren Vergangenheit: Die Ikonenstellung, die Doppelolympiasieger Peter Seisenbacher inne hatte, die Anklage unter anderem wegen schweren sexuellen Missbrauchs in seiner Funktion als ehemaliger Jugendtrainer eines Wiener Judovereins, dann die spektakuläre Flucht und die nunmehr in der Festnahme in Kiew gipfelnde Jagd der Behörden auf den gefallenen Star - für den die Unschuldsvermutung gilt - haben das Zeug zum Krimi. Doch hinter jedem Missbrauchsfall stecken tragische persönliche Geschichten der Betroffenen, die freilich nicht nur, aber eben auch im Sport regelmäßig geschrieben, aber noch immer zu selten erzählt werden.“ (Tamara Arthofer, Wienerzeitung)
Bei dieser Aussage, dass immer noch zu selten davon erzählt wird, wird eine erschreckende Tatsache deutlich. Es existieren weit mehr Fälle als öffentlich bekannt. Als Verein, als Verband, als Gesellschaft – wir alle tragen die Verantwortung zum Schutz unserer Jugendlichen. Auch wenn Trainerinnen und Trainer ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen müssen – es reicht als Schutz bei Weitem noch nicht aus. Der zu wandernde Grat ist jedoch schmal, schließlich möchte man keine Vorverurteilung von ehrenamtlich Engagierten befeuern. Wie kann man diese Gratwanderung sicher begehen?
"Die Arbeit, die die überwältigende Mehrheit der großteils ehrenamtlichen Trainer und Funktionäre tagtäglich leistet, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Dennoch bedarf es hierbei einer besonderen Sensibilisierung und Aufklärungsarbeit. Schließlich ist Grenzsetzung gerade dort, wo Vorbildwirkung, Vertrauens- und Autoritätsverhältnis sowie Körperlichkeit miteinander einhergehen wie in kaum einem anderen gesellschaftlichen Bereich, eines der wesentlichsten Themen für alle Beteiligten." (Tamara Arthofer, Wienerzeitung)
Auch die Politik muss sich hier ihrer Verantwortung deutlicher bewusst werden und die Gesellschaft bei der Umsetzung von Präventionsprogrammen endlich professionell und flächendeckend unterstützen. Wo sind die regionalen Anlaufstellen, die regionale Angebote, die verpflichtenden Informationsveranstaltungen – hier muss die Politik die Rahmenbedingungen schaffen und die Gesellschaft die Angebote und Initiativen annehmen.
"Alle diese Initiativen sind gut und wichtig. Sie müssen nur auch bei den Betroffenen ankommen - damit diesen die Scham genommen wird, ihre Geschichten zu erzählen. Auch dann, wenn jene von Peter Seisenbacher einmal aus den Schlagzeilen verschwunden sein wird." (Tamara Arthofer, Wienerzeitung)
Der BJV kooperiert mit praetect.de. Auch wenn ein Verhaltenskodex existiert und Führungszeugnisse eingefordert werden. Langfristig müssen die Kompetenzen der Jugendlichen und Eltern gestärkt werden. Grenzen erkennen, Gefühle artikulieren lernen, die persönliche Distanzschwelle erkennen, den Unterschied zwischen guten und schlechten Geheimnissen erkennen, Grenzüberschreitungen artikulieren lernen, Ansprechpartner kennen, sich anvertrauen können, uvm.
Wie kann dieses Ziel erreicht werden? Folgende Vorschläge sollten in den kommenden Sitzungen der Landes- und Bundesgremien diskutiert und schnellstmöglich umgesetzt werden. Seit heute bin ich themenbezogen mit dem DJB Präsidium in Kontakt.
- z.B. eine Vereinszertifizierung sollte nur noch gegeben werden, wenn jährlich präventive Angebote im Bereich der sexualisierten Gewalt angeboten werden.
- z.B. jährlich können sich Mitglieder von Sportvereinen (abteilungsunabhängig) bzw. Eltern über die Prävention vor sexualisierter Gewalt informieren.
- z.B verpflichtende Aufnahme als Kyu-Prüfungskriterium bei Kindern: Spielerische Formen zur Prävention vor sexualisierter Gewalt als Pflichtelement nach Vorgaben des Fachverbandes
- z.B. Intensivierung der Trainerrolle und des Trainerverhaltens in den Aus- und Fortbildungen im Bezug auf sexualisierte Gewalt (Beispiel: Umziehen in der Kabine, Gesprächsregeln mit Kindern, Außenwirkung im Umgang mit Kindern, etc.)
- z.B. Verbindliche Schaffung einer männlichen und einer weiblichen Vertrauensperson im Landesverband, idealerweise professionell geschult oder von professionellen Ersthilfeeinrichtungen, die als Ansprechpartner öffentlich gemacht werden.
- z.B. Einführung von Verbandsstrafen, Sperrungen und Aberkennung von Dan-Graden
Beispiele für eine Umsetzung von präventiven Elementen zur Kompetenzstärkung bei Jugendlichen habe ich für mein zweites Staatsexamen geschrieben. Diese Arbeit habe ich nun so überarbeitet, dass schülerbezogenen Daten entfernt wurden und die Arbeit somit publiziert werden kann. Vielleicht dient sie dem ein oder anderen Trainer, Funktionär oder Elternteil als wertvolle Anregung.
Florian Ellmann, Lehrreferent des Bayerischer Judo-Verband e.V.
Quelle: http://www.wienerzeitung.at/meinungen/kommentare/908421_Mehr-Praevention-sexualisierter-Gewalt-ist-auch-im-Sport-gefragt.html